Rückblick

Vom kleinen Spielkreis zum traditionsreichen Orchester

Tegel – das ist der Ortsteil des Bezirks Reinickendorf, in dem die ersten Mitspieler in der Zupfinstrumenten-Gruppe von Günther Schmidt zu Hause waren und sich bereits am 1. Juni 1940 erstmals unter dem Namen Teg'ler Zupforchester zum gemeinsamen Musizieren zusammengefunden hatten. Die erste Orchestersatzung nennt dieses Datum auch als Gründungstag. Da neben Günther Schmidt nur noch zwei weitere Musikfreunde den Krieg überlebt hatten und 1947 ein Neuanfang mit über 30 Spielerinnen und Spielern gemacht werden konnte, wurde in einer neuen Satzung das Gründungsdatum des Teg'ler Zupforchesters auf den 19.9.1947, den Geburtstag des Gründers, festgelegt.

Zunächst konnte das Orchester Probenräume in der Gabriele von Bülow-Schule nutzen; später ergaben sich Möglichkeiten in Borsigwalde. Die Schule in der Sommerfelder Straße war dann auch eine der ersten Stätten öffentlicher Konzerte. Hier konnte sich die Jugendarbeit von Günther Schmidt unmittelbar auszahlen, denn in dieser Zeit waren die Kids offen für jede Anregung, ihre Freizeit in einer Gruppe gemeinsam zu gestalten.

Seit Mitte der 50er Jahre probte das TZO dann erst in einem Klassenraum und seit 1953 bis heute in der akustisch sehr gut geeigneten Aula der heutigen Stötzner-Schule.

In Höchstbesetzung und mit Bläsern, Schlagwerk und Solisten erreichte das Orchester früher oft eine Stärke von etwa 40 bis 50 Spielerinnen und Spielern. Auch bei unserem Jubiläumskonzert 1997 konnten wir zusammen mit dem Blockflötenorchester Neukölln wieder in großer Besetzung konzertieren.

Aufbau und Organisation des Orchesters wären Günther Schmidt und seinen Nachfolgern sicherlich schwerer gefallen, wenn nicht 1947 ein begabtes junges Organisationstalent dem Orchester beigetreten wäre. Der damals achtzehnjährige Gitarrenspieler Eberhard Türk wollte eigentlich im Orchester musizieren – zur Entlastung des Dirigenten verzichtete er jedoch auf die Musik und widmete sich von 1950 an der Vorstandsarbeit. Er wurde zum Motor und Fürsprecher des Orchesters und zu einem guten Freund mancher Spieler. Sein plötzlicher Tod im Jahre 1976 hat dem Orchester bestürzend vor Augen geführt, wie viel Arbeit und Umsicht erforderlich sind, um die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche musikalische Arbeit und ein harmonisches Miteinander zu schaffen und aufrechtzuerhalten.

Dennoch legt das Orchester besonderen Wert darauf, dass die musikalische Arbeit immer im Mittelpunkt bleibt und die notwendigen organisatorischen Arbeiten sowie satzungsgemäße Pflichten, von möglichst vielen Schultern getragen, keine allzu große Eigendynamik erlangen. So hat unser Dirigent als musikalischer Leiter den entscheidenden Einfluss auf die Orchesterarbeit, wobei er durch einen ständigen Musikausschuss und bei den Proben durch das ganze Orchester beraten wird. Auf diese Weise gelingt dem TZO eine kontinuierliche musikalische Vielfalt bei der Programmgestaltung seiner Konzerte.

Musikalische und freundschaftliche Bande

Das 1947 aus einem kleinen Spielkreis hervorgegangene Orchester hat sich stets als eine Gemeinschaft verstanden, in der neben dem gemeinsamen Musizieren auch die sozialen Bindungen in der Gruppe und zwischenmenschlichen Beziehungen von besonderer Bedeutung sind. So haben besonders die vielen gemeinsamen Veranstaltungen, Reisen und verschiedenen Seminare neben den jährlichen Konzerten entscheidend dazu beigetragen, den menschlichen Zusammenhalt herzustellen und zu pflegen.
Für die jahrzehntelange Stabilität des Orchesters hat auch eine große Rolle gespielt, dass grundsätzlich alle Orchestermitglieder an Konzerten oder Tonaufnahmen teilnehmen können. Auf diese Weise werden alle Musiker in das Orchester integriert und können sich in einer von gemeinsamer Musizierfreude bestimmten Atmosphäre in die Orchesterarbeit einbringen.
Wie sehr sich diese nicht nur dem Leistungsdenken verpflichtete Auffassung für das Orchester ausgezahlt hat, konnte man gerade im Jubiläumsjahr 1997 sehen – an unseren mehrtägigen Übungsseminaren in Rheinsberg, Hitzacker und in der Heimvolkshochschule Glienicke, an denen jeweils durchschnittlich 15 Probenstunden angesetzt waren, haben fast alle Spielerinnen und Spieler des Orchesters teilgenommen.

Unser umfangreiches Orchesterarchiv hat in Wort und Bild festgehalten, was sich in 50 Jahren an herausragenden Ereignissen, aber auch an vielen kleinen Episoden zugetragen hat. Diese Vielfalt der gemeinsamen Erlebnisse ist – hier zu einem Strauß von bunten Erinnerungen gebunden – sicherlich ein tragendes Element in der Gruppe:
Als Günther Schmidt im kalten Winter 1946/47 beim häuslichen Musikunterricht während der Stromsperren der dunklen Küche mit Hilfe von selbstgebastelten Kerzenhaltern an den Notenständern einen Hauch von Menzels Flötenkonzert in Sanssouci verlieh,
...als sich ein erschrockenes elfjähriges Mädchen (heute als Gründungsmitglied gefeiert) zwischen »Jungs« setzen musste und handgeschriebene Noten von »Leise, fromme Weise« ausgeteilt wurden,
...als ein russischer Dreiecksbass – arg ramponiert, aber von Granatsplittern und Brandbomben verschont, den Weg in das Orchesterspiel zurückfand,
...als ein knüppelbewaffneter Hausbesitzer im Frankenwald kichernde Jugendliche für Einbrecher hielt,
...als nach fröhlicher Runde ein dörflicher Feuermeldeknopf gedrückt wurde, um die Straßenbeleuchtung einzuschalten,
...als dem Solisten die Hose riss und ein Herrenausstatter aushelfen konnte,
...als selbstbewusste Pilzsammler unbeeindruckt von Skeptikern das ganze Orchester mit köstlichen Gerichten versorgten,
...als bei der Suche nach dem ultimativen Klang eines Armen-Sünder-Glöckchens für Kubiks Violakonzert kurzerhand der Jugendherbergsküche ein Edelstahlkochtopf abgekauft wurde,
...als ...als ...als.

Und dass jedes gelungene Konzert mit einer Mischung aus Glück, froher Erleichterung und der erhofften Genugtuung über die eigene Leistung – um die Laienmusiker von den »Profis« manchmal beneidet werden – gefeiert wurde. Ganz zu schweigen von den 10 Ehen, die inzwischen aus dem gemeinsamen Musizieren hervorgegangen sind!